Ob wir nun wollen oder nicht: Innerlich reagieren wir auf die ungewohnten Umstände. Schließlich gab es dafür keine "Generalprobe" und für die meisten von uns ist die Situation vollkommen neu. Was also passiert in einem solchen Fall aus psychologischer Sicht? Wir haben unsere Expertinnen und Experten gefragt.

Die Fragen beantworten Diplom-Psychologin Anita Smida und Diplom-Psychologe Christoph Bartelworth vom Psychologischen Fachdienst des CJD.

Wie reagiert unsere Psyche auf eine derartige Ausnahmesituation?

Die Pandemie stellt eine reale Bedrohung auf mehreren Ebenen dar: Die körperliche Unversehrtheit ist gefährdet. Die Auswirkungen der wirtschaftlichen Einschränkungen auf jeden von uns sind unklar. Unsere Welt hält quasi den Atem an, all unsere Pläne und Vorhaben scheinen zwangsweise aufgeschoben und mit vielen Fragezeichen versehen zu sein. Unsere Vorstellung, "in Sicherheit zu sein", löst sich auf. Der tägliche Kampf mit dem Verkehrschaos, der Klimawandel und selbst die terroristische Bedrohung sind Alltag geworden - Corona ist neu. Es ist nicht abschätzbar und offenbar noch nicht in den Griff zu bekommen. Selbst seitens der sonst für Problemlagen zuständigen Experten nicht. Das macht Angst. Die Steuerung durch die Politik ist erlebbarer als sonst, das macht Corona zur Chefsache und damit noch bedeutsamer. Und wir werden durch die uns auferlegten Einschränkungen und Einschnitte im Alltagsablauf ständig daran erinnert, das hält die Angst aufrecht.

Wie gehen die Menschen mit der Angst, die Sie beschreiben, um?

Der Umgang mit Angst ist recht individuell. Allein das Ausmaß, in dem sich jemand persönlich bedroht fühlt, hängt von Faktoren wie optimistischer oder pessimistischer Lebenshaltung, der Überzeugung, selbst wirksam handeln zu können, der Einschätzung der persönlichen Gefährdung, dem Vertrauen in Hilfesysteme und vielem mehr ab. Als Reaktion darauf findet man eine Vielzahl von Verhaltensweisen wie Pragmatismus, Fatalismus, Verleugnung, Panik oder Aktionismus.

Welche Rolle spielt dabei die starke Einschränkung sozialer, vor allem physischer Kontakte?

Viele Bedürfnisse werden in sozialen Kontakten befriedigt, man erlebt etwa Zugehörigkeit, wenn man täglich zur Arbeit geht. Das macht für uns Sinn. Wir können auch zu Hause arbeiten, Sport treiben, wir können uns mit Kollegen austauschen - aber hier sind die Rückmeldungen nicht voll zufriedenstellend: Ein geschriebenes "Danke" ist nett, doch das Lächeln und die Erleichterung über Lösungen, die ich sonst automatisch nonverbal aufnehme, fehlen. Unseren Einsatz, unsere Arbeit können wir so als weniger belohnend erleben. Enge soziale Kontakte signalisieren neben Zugehörigkeit aber auch Schutz. Zum Trost in den Arm genommen zu werden, das kennen wir, so lange wir denken können. Es verstärkt Bindungen, trägt zur Entspannung und zum Stressabbau bei und stärkt unser Wohlbefinden. Fehlt das, können sich etwa schlechte Stimmung, Unruhe, Reizbarkeit, Aggressivität und Schlaflosigkeit entwickeln, also Zustände, die sicher nicht dazu angetan sind, Ängste zu beschwichtigen.

Was kann ich in der aktuellen Situation tun, um psychischen Problemen oder gar Erkrankungen vorzubeugen?

Ein trotz allem strukturierter Tagesablauf mit festen Wach- und Schlafzeiten, Aufgaben und Zielen vermittelt unserer Psyche Normalität. Vernünftige Information hilft, Ängste zu reduzieren und das Gefühl von Hilflosigkeit zu mindern. Dabei ist es wichtig, seriöse Quellen zu nutzen und ein für sich individuell nützliches Ausmaß an Informationen herauszufinden. Bewegung sollte klar eingeplant sein, genauso wie regelmäßige soziale Kontakte, auch wenn die jetzt naturgemäß anders aussehen werden als gewohnt. Trotzdem wird dadurch Nähe hergestellt, was sich stabilisierend auf die Psyche auswirkt. Insgesamt ist es besser, seine Ängste und Sorgen mit anderen zu teilen und nicht damit alleine zu bleiben. Zu erfahren, dass andere ähnlich fühlen, verändert zwar die Situation nicht, entlastet aber erfahrungsgemäß sehr.