Kinderschutz- und Krisenkonzept EIN EINBLICK CJD Kinder-, Jugend- und Familienhilfe Baden-Württemberg Das Zusammen wirkt.
BETEILIGUNGSRECHTE EVALUATION UND CONTROLLING HALTUNG UND GRUNDLAGEN 4 3 2 1 NACHSORGE INTERVENTION PRÄVENTION ANALYSE Struktur des Kinderschutz- und Krisenkonzepts 2
Sehr geehrte Damen und Herren, junge Menschen brauchen sichere Orte, um sich gut entwickeln zu können. Sichere Orte zu gestalten, ist jedoch nur dann möglich, wenn auch die Gestal- ter selbst Sicherheit erleben. Das Schutzkonzept des Fachbereichs Kinder-, Jugend- und Familienhilfe im CJD Baden-Württemberg nimmt diese Komplexität in den Blick. Es geht um den Schutz von jungen Menschen in den Einrichtungen des Fachbereiches. Das vorliegende Schutzkonzept lässt umfassend die Vision des sicheren Ortes Realität sein. Um einen solchen sicheren Ort als Einrichtung der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe anbieten zu können, müssen die Gefährdungsbereiche bekannt, Schutzmaßnahmen benannt und klar umrissen sein. Im Personalmanagement bedarf es klarer Kriterien zur Personalauswahl und -entwicklung sowie Schulungen, die Unwissen und unprofessionellem Handeln entgegenwirken. Transparente Strukturen, Abläufe und Zuständigkeiten sowie Möglichkeiten der Beteiligung reduzieren willkürliche Machtanwendung (in) einer Institution. Diese Bausteine sowie pädagogische Inhalte und Standards, Umsetzung der Sexualerziehung und Aufklärung, Umgang mit vorhandenem Medieneinfluss und die baulichen Gegebenheiten tragen alle zum Gefühl der Sicherheit oder Unsicherheit in einer Organisation bei. Darüber hinaus sind die Themen Beschwerdemanagement, Notfall- und Krisenpläne sowie Hintergrundwissen in dem Konzept enthalten. Das vorliegende Kinderschutz- und Krisenkonzept hat Gültigkeit für alle Angebote im Fachbereich Kinder-, Jugend- und Familienhilfe des CJD Baden- Württemberg. Dazu gehören Wohngruppen der stationären Hilfen zur Erziehung, der Strafvollzug in freier Form, schulbezogene Jugendsozialarbeit, Jugendmigrationsdienst sowie weitere ambulante Angebote und Projekte. Sind Kapitel in diesem Konzept nur für ein Angebot passend, ist dies in der Überschrift entsprechend vermerkt. Unser Anspruch ist Verlässlichkeit, Achtsamkeit, Beteiligung, Offenheit und Transparenz als Merkmale eines sicheren Ortes für die uns anvertrauten jungen Menschen anzubieten. Es geht um professionelles Handeln im Alltag, um einen geschärften Blick für das Kindeswohl und den Schutz vor Gewalt. Das vorliegende Kinderschutz- und Krisenkonzept wird kontinuierlich weiterentwickelt und soll Mitarbeitende sensibilisieren, junge Menschen stärken und Mitarbeitenden Handlungssicherheit im Bereich der Prävention, Intervention und Nachsorge geben. Reinhard Sechser Nico Gehrling Gesamtleiter Fachbereichsleiter Kinder-, Jugend- und Familienhilfe Gendersensible Formulierungen waren uns beim Schreiben des Konzeptes wichtig. In Einzelfällen wurde aufgrund der besseren Lesbarkeit davon abgewichen. Selbstverständlich gelten auch diese Begriffe gleichermaßen für alle Geschlechter. Der Karabiner ist das Symbol des Kinderschutz- und Krisenkonzepts im Fachbereich Kinder-, Jugend- und Familienhilfe im CJD Baden-Württemberg. Das Konzept bietet allen Personen im Fachbereich, egal ob junger Mensch oder Mitarbeitender, Halt, Sicherheit und Stabilität. Einleitung 3
Einleitung 1 Grundlagen des Kinderschutz- und Krisenkonzepts 1.1 Pädagogische Grundhaltung 1.2 Rechtliche Grundlagen 1.3 Kinderrechte 1.4 Verantwortlichkeiten innerhalb des Fachbereiches bezogen auf dieses Konzept 1.5 Selbstverpflichtungserklärungen der Diakonie 2 Analyse 3 Prävention 3.1 Personalmanagement 3.2 Verhaltensampel 3.3 Besprechung des Kinderschutz- und Krisenkonzepts 3.4 Kinderrechte 3.5 Kernsätze der Selbstverpflichtungserklärungen der Diakonie 3.6 Privatsphäre 3.7 Situationen, die sich zu besonderen Ereignissen entwickeln können 3.8 Bauliche Voraussetzungen und Maßnahmen (WG, SvifF) 3.9 Zustand der Räume 3.10 Gewaltschutz 3.11 Zutrittsrechte 3.12 Deeskalationsmanagement 3.13 Umgang mit Medien 3.14 Belegung der Angebote (WG, SvifF) Blick in die Gliederung des Kinderschutz- und Krisenkonzepts 4
4 Beteiligungsrechte – Partizipation und Transparenz 4.1 Ziele von Beteiligung und Transparenz 4.2 Bereiche der Beteiligung und Transparenz 4.2.1 Hilfe- und Erziehungsplanung (WG) 4.2.2 Kinder- und Jugendlichenvertretung (Selbstvertretung) (WG, SvifF) 4.2.3 Gruppenabende (WG, SvifF) 4.2.4 Beschwerdemanagement 4.2.5 Beteiligung in persönlichen Lebensbereichen (WG, SvifF) 4.2.6 Beteiligung und Transparenz im Alltag (WG, SvifF) 4.2.7 Umgang mit Suchtmitteln und illegalen Drogen 4.2.8 Transparenz gegenüber jungen Menschen 5 Intervention 5.1 Begrifflichkeiten 5.2 Einstufung des Ereignisses 5.3 Ablaufplan für Notfälle 5.4 Ablaufplan für Krisen 5.5 Ablaufplan bei Kindeswohlgefährdung 5.6 Meldewesen (WG, SvifF) 5.7 Dokumentation 5.8 Umgang mit dem Täter 6 Nachsorge 6.1 Nachsorgeangebot für Betroffene 6.2 Rehabilitation von zu Unrecht Beschuldigten 6.3 Unterstützung für sekundär Beteiligte 7 Evaluation 8 Controlling 8.1 Checkliste Umsetzungsprüfung 8.2 Überprüfung und Überarbeitung 8.3 Audits Anhang Im Folgenden werden hieraus einzelne Inhalte erläutert. Blick in die Gliederung 5
Eine wesentliche Basis unserer Arbeit stellt eine Grundhaltung dar, die das Wissen um die Folgen von Belastungen und Unsicherheiten berücksichtigt, ihren Schwerpunkt auf die Ressourcen der jungen Menschen legt und die Entwicklung eines „starken Ich“ zum Ziel hat. Hierbei bildet eine wertschätzende und verstehende Haltung das Fundament. Folgende Grundhaltungen sind im Rahmen der Angebote durchgängig erkennbar: Jedem seine Chance Unter dem Leitgedanken „Jedem seine Chance“ geben wir jedem jungen Menschen seine persönliche Chance, seinen Platz in der Gesellschaft zu finden. Unser Ziel ist es, dass die uns anvertrauten jungen Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft, ihren Fähigkeiten und Voraussetzungen, einen Platz in unserer Gesellschaft erhalten, der ihnen die Entfaltung ihrer persönlichen Stärken ermöglicht. Der gute Grund Viele Verhaltensweisen, mit denen junge Menschen auf ihre besondere Lebenslage reagieren, sind für die Pädagogen und die anderen jungen Menschen oft belastend. Dabei geht die notwendige Wertschätzung und Würdigung der Verhaltensweisen als Überlebensstrategie häufig verloren. Würdigung und Wertschätzung dieser notwendig gewordenen Verhaltensweisen sind jedoch ein entscheidender erster Schritt, den jungen Menschen zu ermöglichen, ihr belastendes Verhalten im Kontext seiner Notwendigkeit zu reflektieren und möglicherweise alternative Verhaltensweisen zu entwickeln. Erweiternd dazu wird der Hintergrund des jungen Menschen betrachtet. Er hat eine eigene Biografie, die sich aus seinen bisherigen Erfahrungen in seiner Herkunftsfamilie und seinem persönlichen sozialen Umfeld zusammensetzt. In diesem Zusammenhang wird den jungen Menschen vermittelt, dass nicht sie selbst „verrückt“ sind, sondern ihre Lebensumstände verrückt waren und ihr Handeln als eine Reaktion darauf zu verstehen ist. Sicherer Ort Ziel unserer täglichen Bestrebungen ist es, Zuversicht bei den jungen Menschen zu wecken und Vertrauen zu schaffen. Vertrauen in sich selbst, in die eigenen Wachstums- und Entwicklungsmöglichkeiten sowie zu Gleichaltrigen und auch zu Erwachsenen. Wollen wir das Vertrauen der von uns betreuten jungen Menschen, dann brauchen diese vor allem „Sicherheit“. Sicherheit in Beziehung zu sich selbst, Sicherheit in den Beziehungen zum Herkunftssystem und nicht zuletzt auch Sicherheit in unserer Einrichtung und den Angeboten. So wie der junge Mensch größtmögliche Sicherheit benötigt, brauchen diese auch die Mitarbeitenden. In der Versorgerkette ist gewährleistet, dass Sicherheit von den jeweils verantwortlichen Personen weitergegeben wird. Nur wenn sich Mitarbeitende auch sicher fühlen, können sie diese weitergeben und nur so kann Sicherheit bei den jungen Menschen ankommen. Pädagogische Grundhaltung 6
Wertschätzung Das Erleben von Hilflosigkeit, Perspektivlosigkeit, Ohnmacht und Willkür führt bei jungen Menschen dazu, dass sie keinen Sinn und keinen Wert mehr in sich und ihrem Handeln sehen können. Sie müssen daher die Möglichkeit haben, sich und das, was sie tun, mehr und mehr (wieder) als wertvoll zu erleben. Dort anzusetzen, wo Stärken und Ressourcen vorhanden sind, ermöglicht es, sich selbst mit seinen Fähigkeiten zu erleben und selbst schätzen zu lernen. Wir gestalten einen sicheren Rahmen, in dem den jungen Menschen der Aufbau eines positiven Selbstbildes ermöglicht wird, um ihr Selbstwertgefühl und ihr Selbstbewusstsein wachsen zu lassen. Dabei gilt, im Auge zu behalten, dass es Verhaltensweisen gibt, die auf den ersten Blick störend wirken, die aber durch die Verschiebung in einen anderen Kontext oder durch positives Umdeuten eine Ressource beinhalten. So hat manche Verhaltensweise der Kinder und Jugendlichen in der Vergangenheit deren Überleben in physischer wie in psychischer Hinsicht gewährleistet. Solche Überlebensstrategien abzulegen ist ausgesprochen schwierig. Schon der Versuch, dies zu tun, verdient Anerkennung und Respekt. Ganzheitlichkeit Der ganzheitlichen Persönlichkeitsbildung liegen im CJD die vier einander durchdringenden Handlungsfelder zugrunde. Diese spiegeln unser gesamtes Tun wider: • Religionspädagogik • Sport- und Gesundheitspädagogik • Musische Bildung • Politische Bildung Im pädagogischen Alltag, aber auch in jährlichen CJD-weiten Großveranstaltungen erhalten die jungen Menschen die Gelegenheit zu lernen, sich auszuprobieren und Erfahrungen zu sammeln. Grundlage der pädagogischen Arbeit ist die ganzheitliche Sichtweise auf den jungen Menschen innerhalb seines gesellschaftlichen Kontextes. Deshalb stehen im Mittelpunkt alle Bezüge, die die Lebenswelt der jungen Menschen ausmachen sowie ihre Persönlichkeitsentwicklung und momentane Situation beeinflussen. Im Sinne der ganzheitlichen Sichtweise wird nicht nur der kognitiv-intellektuelle Aspekt berücksichtigt, sondern auch das Zusammenspiel von körperlichen und affektiven Aspekten, d.h. die Pädagogik berücksichtigt die körperliche, geistige und seelische Entwicklung des jungen Menschen und bezieht seine Persönlichkeit und Lebens- bzw. Erfahrungswelt mit ein. Dabei wird die Entwicklung eines Menschen als ein ganzheitlicher Reifungsprozess im Zusammenspiel von Sinneswahrnehmungen, Denkleistungen, Bewegungsabläufen und Gefühlen gesehen. Sozialkompetenz Als Voraussetzung für eine befriedigende Teilnahme am gesellschaftlichen Leben steht neben dem Erwerb von Normen und Werten auch die Interaktionskompetenz des jungen Menschen, d.h. die Fähigkeit, in angemessener Form Bedürfnisse zu äußern und Forderungen zu stellen. Junge Menschen zu erziehen heißt für uns, soziale Kompetenzen zu vermitteln. Um sozial in einer Gesellschaft integriert zu sein, ist es wichtig, in der Lage zu sein, in adäquater Form mit seinem Gegenüber in Beziehung zu treten. Um den jungen Menschen ein Modell für gelebte zwischenmenschliche Beziehungen zu bieten, ist der Umgang zwischen Betreutem und Betreuern beziehungsorientiert gestaltet. Auf der Grundlage dieses stabilen Rahmens erlernt der junge Mensch soziale Kompetenz, verschiedene Formen von zwischenmenschlichen Kontakten, das Führen von Gesprächen und das Eingliedern in eine soziale Gruppe. Partizipation Die Teilhabe an der Gestaltung der eigenen Lebensbedingungen zählt zu den wichtigsten Einflussfaktoren, die zu seelischer Gesundheit führen. Junge Menschen bilden eine positive Motivation vor allem dann aus, wenn sie Erfahrungen im Erleben von Autonomie, Kompetenz und Zugehörigkeit machen. Es ist wichtig, Strukturen und Ansätze zu haben, die dem jeweiligen Entwicklungsstand entsprechend höchstmögliche Teilhabe gewährleisten. Mit Sicherheit zum starken Ich 7
Transparenz In der Regel haben die jungen Menschen in ihren Biografien Macht und Hierarchie als etwas Belastendes und unter Umständen auch Missbräuchliches erlebt. Es ist daher von großer Bedeutung, dass sie einen transparenten verantwortungsvollen Umgang mit Hierarchien, Strukturen, (Gruppen-)Regeln und Machtverhältnissen erleben. Der sichere Ort muss vorhersehbar, verlässlich und verständlich sein und setzt somit ein Gegengewicht zum bisher fragilen, unsicheren Lebensumfeld. Bei der Schaffung von Transparenz ist ein zentrales Merkmal, dass der individuelle Entwicklungsstand der jungen Menschen im Mittelpunkt steht und bei der Umsetzung beachtet wird. Neugier Jeder einzelne der jungen Menschen hat in seinem bisherigen Leben viel erlebt und erfahren. Ein Leben, das geprägt ist von Freud und Leid, positiven wie auch schwierigen und teilweise lebensbedrohlichen Erfahrungen. Eine Haltung der Neugier macht es möglich, gemeinsam und im positiven Sinne über diese Geschichten ins Gespräch zu kommen und den Erlebnissen einen wertvollen Sinn zu geben. Der junge Mensch erfährt so, dass seine Lebensgeschichte eine Bedeutung hat und dass er wichtig ist. Spaß und Freude Die persönlichen Belastungen der jungen Menschen gehen mit Gefühlen der Angst, Unsicherheit und Einsamkeit einher. Es lässt sich ein deutliches Ungleichgewicht der Emotionen feststellen. Hier gilt es daher, auch die positiven Gefühle zu beleben und ihnen einen besonderen Schwerpunkt zu geben, um die Belastung und Widerstandsfähigkeit ins Gleichgewicht zu bringen. Spaß, Freude und Lachen ermöglichen positive Erlebnisse und unterstützen das Lernen und die Entwicklung nachhaltig. C-Profil Die Mitarbeitenden im CJD bilden eine Gemeinschaft, die ihre Wertebasis im christlichen Menschenbild hat. In seinem Handeln ist das CJD Ort der Begegnung mit Jesus Christus. Hierbei haben Mitarbeitende und junge Menschen im CJD die Möglichkeit, die Gegenwart Gottes zu erleben, sich als gewollt und angenommen wahrzunehmen und auch auf diesem Weg den eigenen Wert zu erkennen. Über die beschriebene pädagogische Grundhaltung hinaus sind im CJD Visionen, Grundüberzeugungen, Strategien und Leitgedanken tief verankert, die die Grundhaltung des CJD repräsentieren. An den Zielen der pädagogischen Grundhaltung arbeiten wir gemeinsam. Pädagogische Grundsätze im Miteinander Den guten Grund erkennen Persönlichkeit entfalten Neugier wecken Spaß und Freude erleben Sozialkompetenz fördern Sichere Orte anbieten Jedem seine Chance geben Partizipativ und transparent handeln Wertschätzender Umgang
Kinderrechte im CJD Kinder und Jugendliche in unseren Einrichtungen müssen ihre Rechte kennen, weil sie damit gestärkt werden. Unsere Aufgabe ist es daher, ihnen Informationen über diese Rechte in geeigneter Form sowie alters- und entwicklungsgemäß adäquat zugänglich zu machen. Für junge Volljährige über 18 Jahren, die in einer unserer Einrichtungen leben, gelten ebenfalls diese Rechte. Allerdings liegt der Fokus der Arbeit mit zunehmendem Alter immer mehr auf der im SGB VIII genannten Erziehung zur Eigenverantwortlichkeit, d.h. auch die Beanspruchung der Rechte geht immer mehr in die Eigenverantwortlichkeit der Jugendlichen über. Die UN-Kinderrechtskonvention ist als Grundlage im Umgang mit Kindern und Jugendlichen anzusehen. Kinderrechte Mit Sicherheit zum starken Ich 9 Du hast das Recht auf Bildung Du hast das Recht auf Gesundheit und eine saubere Umwelt Du hast das Recht auf Beteiligung Du hast das Recht auf einen sicheren Ort und Privatsphäre Du hast das Recht auf freie Meinungsäußerung Du hast das Recht auf Spiel, Freizeit und Eigentum Du hast das Recht auf Eltern Du hast das Recht auf verantwortungsvolle Erziehung Du hast das Recht auf Gleichheit Du hast das Recht auf körperliche Unversehrtheit
Für die Schaffung eines sicheren Ortes für junge Menschen sind nicht nur strukturelle Transparenz und konzeptionelle Klarheit vorrangig, sondern auch verlässliche Alltagsbeziehungen zu ihren primären Ansprechpartnern. Die Mitarbeitenden sind zwar einerseits Professionelle, von denen ein hohes Maß an Fachlichkeit abverlangt werden kann, andererseits sind es aber auch Menschen, die ein eigenes (Grund-) Bedürfnis nach Sicherheit mitbringen. Aus dieser Erkenntnis heraus muss sich Personalmanagement zwischen dem Anspruch auf professionelles Handeln zur Schaffung eines sicheren Ortes für junge Menschen und dem Angebot eines sicheren Ortes für Mitarbeitende bewegen. Damit Mitarbeitende über ausreichend Wissen und pädagogische Mittel verfügen, die ihnen bei der Schaffung sicherer Orte helfen, werden neben dem Schutzkonzept eine Reihe präventiver Maßnahmen und Fortbildungen angeboten. Damit Mitarbeitende sicher und verlässlich agieren können, muss das Augenmerk einer Personalführung und -entwicklung darauf gerichtet sein, selbst ein sicherer Ort für Mitarbeitende zu sein. Standards sind hierbei unter anderem Mitarbeiterjahresgespräche, regelmäßige Fortbildung und Supervision, Aufgabenbeschreibungen zur Einordnung der Tätigkeiten, Mehraugenprinzip im Auswahl- und Einstellungsprozess, strukturierte Einarbeitung und Überprüfung erweiterter Führungszeugnisse. Personalmanagement 10
Basis des Schutzkonzeptes bildet die so genannte Risiko- und Potentialanalyse, die offenlegt, wo die „verletzlichen“ Stellen einer Institution liegen. Die Risiko- und Potentialanalyse verfolgt systematisch die Frage, welche Bedingungen vor Ort dazu beitragen, dass Unsicherheiten im Umgang miteinander oder Machtungleichgewichte bestehen oder gar gefördert werden. Aus diesen Bedingungen heraus passieren unbedacht Grenzverletzungen, werden Übergriffe möglich und Täterinnen und Täter könnten diese Bedingungen in der Zuspitzung nutzen, um (sexuelle) Gewalt vorzubereiten und auszuüben. Als Risikofelder analysiert werden dabei die Bereiche • Grundsätzliche Fragen • Personalverantwortung • Räumliche Situation • Strukturen • Konzept • Sexualpädagogisches Konzept • Regeln • Kultur der Organisation/Haltung der Mitarbeitenden • Kooperation • Institutionelle Handlungsmöglichkeiten bei Übergriffen Aus den angebotsspezifischen Ergebnissen werden Einzelmaßnahmen oder fachbereichsübergreifende Maßnahmen abgeleitet, die die Transparenz und Verlässlichkeit fördern, Handlungssicherheit schaffen und zur Schaffung eines sicheren Ortes beitragen. Risiko- und Potentialanalyse als Basis Mit Sicherheit zum starken Ich 11
Eine Verhaltensampel, die gemeinsam mit den jungen Menschen erarbeitet wurde, regelt den Umgang miteinander (Mitarbeitende zu jungem Menschen, junger Mensch zu junger Mensch, junger Mensch zu Mitarbeitendem und Mitarbeitende untereinander) und gibt Anhaltspunkte dafür, wo Grenzverletzungen passieren können und angesprochen werden müssen. Alle jungen Menschen in den Angeboten werden darin bestärkt, ihre eigenen Grenzen zu wahren und aufzuzeigen. Sowohl in Notsituationen als auch in Momenten der Unsicherheit, die negative Gefühle und Gedanken auslösen, werden die jungen Menschen ermutigt, klar und deutlich „Nein“ zu sagen. Roter Bereich Dieses Verhalten ist falsch. Wer davon betroffen ist oder so etwas beobachtet, muss es sofort sagen. Jeder hat das Recht auf Schutz. Körperliche Gewalt Verbale Gewalt Sexualisierte Gewalt Emotionale Gewalt Taschengeld entziehen Missachtung von Selbstbestimmung, Briefgeheimnis oder Datenschutz, Lesen von (digitalen) Nachrichten Private Kontakte von Betreuenden mit jungen Menschen Eine Methode in der Prävention: Die Verhaltensampel 12
Grüner Bereich Dieses Verhalten ist richtig. Jungen Menschen gefällt es möglicherweise nicht, wenn Betreuer das tun. Jeder der etwas nicht versteht, darf nachfragen. Junge Menschen haben das Recht, eine Erklärung zu bekommen. ✔ Auf Einhaltung der Regeln achten ✔ Durchsetzung von Konsequenzen nach Fehlverhalten ✔ Zur Schule/Ausbildung/Arbeit schicken ✔ Hausaufgaben überprüfen/unterstützen ✔ Konflikte bearbeiten/(klärende) Gespräche führen/gemeinsam Lösungen suchen ✔ Grenzen setzen/an Grenzen erinnern ✔ Jugendschutzgesetz beachten ✔ Auf Gesundheit, Hygiene und Einnahme von Medikamenten achten ✔ Kreative und musische Entfaltung ermöglichen ✔ Auf Teilnahme am Gruppenabend bestehen/Handy am Gruppenabend verbieten ✔ Zusammen Sport machen ✔ Mobbing stoppen ✔ Sich über junge Menschen im Team austauschen Gelber Bereich Diese Verhaltensweisen stellen je nach Ausmaß und Bedürfnissen des jungen Menschen oder Mitarbeitenden eine Grenzverletzung dar. Die Grenzen müssen konkret benannt und der Umgang damit individuell besprochen werden. Jeder hat das Recht, sich Hilfe zu holen. — Unpassende Kleidung — Anlassbezogene Durchsuchung von Zimmer/Schrank — (Un-)Gleichbehandlung von jungen Menschen — Einschränkung von Medienkonsum — Einteilung von Taschengeld — Abfrage von persönlichen Detailinformationen ohne erkennbare Notwendigkeit — Private Geschenke von Mitarbeitenden an junge Menschen — Körperkontakt Mit Sicherheit zum starken Ich 13
Unter Beteiligungsrechten (Partizipation und Transparenz) verstehen wir die freiwillige, entwicklungsangemessene Beteiligung der jungen Menschen an allen sie betreffenden Entscheidungsprozessen, sei es in ihren persönlichen Angelegenheiten oder im Gesamtgeschehen einer Einrichtung. Dabei gilt für uns: Selbstbestimmung – Teilweise Entscheidungskompetenz – Mitbestimmung WIRKLICHE PARTIZIPATION Anhörung – Information VORSTUFEN DER PARTIZIPATION KEINE PARTIZIPATION Anweisung – Keine Information Für uns zählt echte Beteiligung 14
Ombudschaften sind unabhängige Beratungsangebote und Schlichtungsstellen, die die partnerschaftliche Beteiligung aller am Hilfeprozess Beteiligten sicherstellen sollen. Jungen Menschen und Mitarbeitenden stehen die unabhängigen Ombudsstellen des CJD und des Landes Baden-Württemberg zur Verfügung. Beschwerde? Gerne! Beschwerdemanagement für junge Menschen beinhaltet Maßnahmen der Einrichtung, die es einer Person ermöglichen, sich zu beschweren oder ihre Meinung zu äußern, ohne Angst vor Konsequenzen haben zu müssen und mit der Gewissheit, dass der Rückmeldung verbindlich nachgegangen wird. Beschwerden sind alle Äußerungen von Unzufriedenheit von jungen Menschen, Mitarbeitenden, internen und externen Kooperationspartnern (z.B. Lehrenden, Ausbildenden, Eltern, Jugendamt, …), um auf unangemessen empfundene Situationen, Leistungen, Verhalten, Absprachen u.ä. hinzuweisen. Jeder direkt oder indirekt an der Hilfe Beteiligte hat das Recht (und auch die Pflicht), Beschwerden persönlich oder schriftlich vorzubringen bzw. zu äußern. Mittels eines strukturierten Verfahrens werden die eingegangenen Beschwerden zeitnah und lösungsorientiert bearbeitet. Dabei gilt es zu beachten, dass nicht jede Beschwerde zur Zufriedenheit eines Beschwerdeführers gelöst werden kann. Mit Sicherheit zum starken Ich 15
Du bist mit etwas nicht einverstanden? Du sollst etwas tun, das du nicht möchtest? Wir hören dir zu und finden eine Lösung! Einfach Meinung äußern. Gerne auch anonym. www.cjd-bw.de/klartext Oder Mail an: kinderschutz.kjfh.bw@cjd.de Sag es, wie es ist. CJD Kinder-, Jugend- und Familienhilfe CJD-21-12-1560-8 Plakat zum Online-Beschwerdemanagement im CJD Baden-Württemberg 16
Ziele von Beteiligung und Transparenz „Je mehr Beteiligung am Hilfeprozess, desto höher der Erfolg der Hilfen.“ „Durch Beteiligung werden Schlüsselqualifikationen erlernt.“ „Partizipation fördert die Fehlerfreundlichkeit.“ „Durch Partizipation wird eine Kultur der Offenheit und Wertschätzung geschaffen.“ „Partizipation schafft Vertrauen und ermöglicht Motivation.“ „Beteiligung schafft wirksamen Schutz vor Willkür und Gewalt.“ Mit Sicherheit zum starken Ich 17
Die Intervention bei einem besonderen Vorkommnis gegenüber jungen Menschen innerhalb der Angebote oder im Kontext der Einrichtungen und Projekte des CJD Baden-Württemberg erfolgt umgehend, fachlich fundiert und im Mehraugenprinzip. Jeder Mitarbeitende ist verpflichtet, bei Hinweisen auf besondere Vorkommnisse aktiv zu werden und festgeschriebene Abläufe und Verfahrensregelungen einzuhalten. Um zielgenau handeln zu können, kennen die Mitarbeitenden die Unterscheidungen zwischen: • Krise, akute Krise, Notfall • Grenzverletzung, Übergriff, Missbrauch • Kindeswohlgefährdung Intervention – reagieren, wenn doch was passiert ist 18
Bei der Bearbeitung von Krisen und Kinderschutzfällen kann es passieren, dass junge Menschen oder Mitarbeitende zu Unrecht beschuldigt werden. Dies kann bewusst durch andere Personen initiiert werden oder sich durch verschiedene Verdachtsmomente ergeben. Wird klar, dass eine Beschuldigung zu Unrecht erfolgt ist, ist die Unterstützung bei der Rehabilitation des zu Unrecht beschuldigten jungen Menschen oder Mitarbeitenden durch den Träger eine Selbstverständlichkeit und es werden aktiv Maßnahmen ergriffen. Besondere Ereignisse betreffen nicht nur Opfer und Täter, sondern haben auch eine Wirkung auf Personen, die (un)mittelbar in die Situation involviert waren oder davon erfahren haben. Diesen Personen werden Unterstützungsangebote unterbreitet. Nach Abschluss eines jeden besonderen Ereignisses findet eine Aufarbeitung und Reflexion statt. In den Prozess sind alle Mitarbeitenden einbezogen, die das Ereignis mit bearbeitet haben. Darüber hinaus werden auch die Betroffenen gezielt befragt. In dieser Phase geht es nicht darum, einen „Schuldigen“ zu finden, sondern für die Zukunft die Prozessqualität zu steigern und den Kinderschutz noch sicherer zu machen. Betroffene von besonderen Ereignissen benötigen Zeit wieder in den Alltag zurückzufinden und erhalten diese in den Angeboten des CJD. Darüber hinaus werden ihnen Angebote gemacht, die sie auf dem Weg zurück ins Alltagsleben unterstützen sollen. In der Verantwortung der Fachbereichsleitung findet eine jährliche Überprüfung und gegebenenfalls Anpassung des Kinderschutz- und Krisenkonzeptes gemeinsam mit einem paritätisch besetzten Qualitätszirkel (Angebotsleitungen, Gruppen-/Teamleitungen, pädagogische Mitarbeitende, Psychologischer Fachdienst) statt. In diese Überarbeitung fließen auch die Ergebnisse aus Evaluationsprozessen nach besonderen Ereignissen ein. Im CJD Baden-Württemberg finden jährlich interne Audits statt. Hier wird die Anwendung von Prozessen des Qualitätsmanagementsystems und die Umsetzung des Leistungsversprechens überprüft. In diese Überprüfungen fließt auch die Umsetzung der Maßnahmen aus dem Kinderschutz- und Krisenkonzept ein. Nachsorge, Evaluation und Controlling Mit Sicherheit zum starken Ich 19
CJD Baden-Württemberg Wiener Straße 260 70469 Stuttgart cjd.bw@cjd.de www.cjd-bw.de CJD-23-02-1582-3
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